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„Da stehe ich nun“ – Wenn Daten zu flüstern beginnen: Kunst, KI und die Stimme Wiens

18.4.2025

Link zur Anwendung: https://da-stehe-ich-nun.palacz.at/

Über die Entstehung der Anwendung

Als ich die Einladung erhielt, einen Beitrag für protestFORMEN – Vienna’s Urban Art zu gestalten – ein Projekt von Judith Fegerl und Günther Friesinger – war sofort klar, dass es um mehr ging als bloß darum, Kunst im öffentlichen Raum zu zeigen. Es ging um Sichtbarkeit, Kontextualisierung und vielleicht auch um Rückgewinnung – um die Möglichkeit, diese oft übersehenen Artefakte im Wiener Stadtbild neu erfahrbar zu machen. In Auftrag gegeben lange vor der Gründung der KÖR, eingebettet in den sozialen Wohnbau, mal sakral, mal funktional: Brunnen, Gedenktafeln, Spielobjekte, Wandplastiken. Viele von ihnen werden kaum beachtet, obwohl sie das Stadtbild prägen.

Die Aufgabe an die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler war offen formuliert: entweder mit einem konkreten Ort zu arbeiten oder sich mit der zugrunde liegenden Datenbank auseinanderzusetzen – jenem öffentlich zugänglichen Kataster von Kunstwerken im Wiener Stadtraum, abrufbar über die Website der Stadt Wien.

Ich entschied mich für Letzteres.

Mich interessierte nicht ein einzelnes Objekt, sondern das Ganze: die Sammlung, die Systematik, die Datenstruktur – und was passiert, wenn man diese nüchternen, bürokratisch erfassten Einträge mit erzählerischer Energie auflädt. Ich wollte ein KI-Projekt machen, das sich direkt mit der API eines KISystems beschäftigt. Kein Einzelwerk, sondern ein durchautomatisierter Prozess, der für viele Datensätze gleichzeitig funktioniert – skalierbar, generativ, systematisch, poetisch.

Vom Datensatz zum Monolog

Die Grundlage meines Projekts Da stehe ich nun… ist die GeoJSON-Datei mit den Standorten, Beschreibungen und Bildern öffentlicher Kunstwerke in Wien, bereitgestellt über data.gv.at. Zunächst arbeitete ich mit der Datenbank auf wien.gv.at selbst, bis ich über die Open-Data-Plattform auf die strukturiertere GeoJSON-Version stieß – ein Glücksfall.

Ein Node.js-Skript übernahm das Parsing dieser Datei, lud alle verfügbaren Bilder herunter und übergab jeden einzelnen Datensatz an die OpenAI-API. Der Prompt war bewusst literarisch angelegt – ein innerer Monolog, gesprochen von einem zynischen Detektiv, inspiriert von der Sprache klassischer Film-Noir-Filme.

So entstand aus jedem Eintrag ein kurzes Textfragment – ein Monolog voller Verdacht, Melancholie, Beobachtung. Der Detektiv streift durch Wien, er sieht die Kunstwerke nicht als bloße Objekte, sondern als Spuren, Hinweise, verschlüsselte Zeichen. In seinen Gedanken tauchen Details auf, die sonst übersehen werden: Inschriften auf Sockeln, formale Eigenheiten, Bezüge zur Umgebung.

Eine Stimme für den Detektiv

Doch der Text allein war nicht das Ziel. Ich wollte die Präsenz des Detektivs hörbar machen. Dafür nutzte ich das Text-to-Speech-System Mimic3, ein Open-Source-Projekt für lokale Sprachausgabe. In Kombination mit der deutschen Thorsten Voice, optimiert für emotionales TTS, entstanden so vertonte Versionen der generierten Monologe – schnarrend, kratzig, lakonisch. Eine Stimme, die glaubt, schon alles gesehen zu haben.

Die entstandenen Audiostücke wurden – zusammen mit den Bildern – als statische Assets gespeichert und sind über eine eigene Webanwendung abrufbar.

Karten, Filter, Schwarzweiß

Für die visuelle Ebene entwickelte ich eine Vue.js-Anwendung, die mit Hilfe von Mapbox GL JS eine interaktive Karte zeigt. Jeder Ort, jedes Kunstwerk kann angesteuert werden. Ein Marker zeigt den Standort, ein Bild die Ansicht, eine Stimme beginnt zu sprechen. Die Bilder der Kunstwerke habe ich mit cssgram in ein kontrastreiches Schwarzweiß getaucht – als würde man durch die Kamera eines Detektivfilms blicken.

Die Stadt als Erzählfläche

Da stehe ich nun… ist kein Spaziergang im klassischen Sinn. Es ist eine Reise durch Datensätze, eine fiktionale Durchdringung der Stadt, erzählt aus einer einzigen, überzeichneten Perspektive. Die Figur des Detektivs dient dabei als Klammer – als Filter, als Stimme, als Projektionsfläche. Es geht nicht darum, die Kunstwerke korrekt zu beschreiben. Es geht darum, ihnen eine andere Form von Aufmerksamkeit zu schenken. Eine, die nicht sachlich ist, sondern subjektiv. Eine, die aus Daten Atmosphäre macht.

Motivation

Ich wollte ein KI-Projekt entwickeln, das den kreativen Umgang mit maschinell verarbeiteten Daten systematisch denkt. Mich interessierte nicht das einzelne, spektakuläre Ergebnis, sondern die Idee eines skalierbaren Prozesses: Wie können hunderte Kunstwerke automatisch in eine Erzählung eingebunden werden? Welche Formen von Interpretation, Überzeichnung oder Fiktion entstehen, wenn man eine KI nicht zur Reproduktion von Inhalten nutzt, sondern zur Erfindung von Figuren und Stimmen?

Die Einladung zu Vienna’s Urban Art war dafür der perfekte Rahmen. Zwischen Archiv und Stadtraum, zwischen Datensatz und Detektiv, zwischen Geschichte und Gegenwart entstand eine alternative Erzählung der Stadt – eine, die sich ihren Weg durch die Ritzen, die Fassaden und die Plätze gräbt. In Schwarzweiß. Mit Stimme. Und mit Haltung.

Julian Palacz lebt und arbeitet als Medienkünstler in Wien und Mürzzuschlag. In seiner Arbeit widmet er sich der Sichtbarmachung und poetischen Aufbereitung von Daten, die wir digital, wie physisch, hinterlassen und die von verschiedenen Akteuren automatisch gesammelt werden. Seine Arbeiten wurden unter anderem im Casino Luxembourg, Museum of Contemporary Art, Belgrad, ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe, sowie Palazzo Zenobio, Venedig gezeigt. Zusätzlich erhielt Julian Palacz das Wimmelforschungs-Stipendium bei Bosch Campus Renningen und Akademie Schloss Solitude, das österreichische Staatsstipendium für Video- und Medienkunst und die Swatch Art Peace Hotel Residency Shanghai.

Link zur Anwendung: https://da-stehe-ich-nun.palacz.at/

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